Vom Leben mit alten und chronisch kranken Hunden
„Heute war ein guter Tag…“
… denke ich, und mein Herz ist voller Liebe, Dankbarkeit und Schmerz zugleich.
Das (Zusammen)Leben mit einem chronisch kranken Hund war schon immer irgendwie… besonders. Besonders eng verbunden. Besonders emotional. Besonders auf diesen Hund ausgerichtet. Es bedeutete schon immer besonders viele Sorgen, viele Tierarztbesuche. Viel Bangen, recherchieren, zu Spezialisten fahren, andere Therapien versuchen in schlechten Phasen. Tiefe Dankbarkeit, Freude und Hoffnung in den gesundheitlich guten Zeiten des Hundes. Oft hat sich aber auch in den tollen, lustigen Momenten mit einem glücklichen Hund ein kleines Tränchen in meinem Augenwinkel versteckt. Sehe ich meiner Hündin „Happy“ bei kurz mal wildem Rumflitzen, leidenschaftlich am Spielzeug rumzerren, früher mit ihren Hundekumpels toben zu, und in ihr strahlendes Gesicht, freue ich mich soooo sehr für sie. Dass es ihr gerade so gut geht. Doch immer mit dabei ist auch in diesen Momenten etwas Wehmut. Und die Angst, dass sie sich gerade übernimmt. Die nächsten Tage vielleicht wieder schlecht läuft. Sie danach vielleicht wieder Schmerzen hat.
Inzwischen (20.05.2022) ist meine Happy 12 Jahre und 8 Monate alt. Und trotz ihrer langen Krankengeschichte empfinde ich diese Phase des richtig Alterns nochmal… anders besonders. Manchmal ist sie jeden Tag ganz unterschiedlich drauf, zeigt ganz neue Eigenheiten. Die dann schon wieder verschwunden sind, bevor ich die Ursache wirklich gefunden habe. Manchmal wirkt Happys Blick irgendwie anders als früher. Und dann spuckt sie mir in der nächsten Minute in altvertrauter Gewohnheit ihr Spielie vor die Füße und fordert mich auf es zu verstecken, damit sie suchen kann. Einen alten Hund hat man im Herzen irgendwie immer „im Blick“. Wenn er viel tiefer als früher schläft und nicht wie gewohnt reagiert, hält man erschrocken inne und schaut, ob er noch atmet. Noch häufiger als früher sitzt man still neben dem schlafenden Schatz und versucht, sich diesen Moment, jedes Detail, jedes graue Haar für immer einzuprägen. Möchte am liebsten die Zeit anhalten. Man vergräbt seine Nase bei jeder Gelegenheit sanft im weichen Fell. „Ich LIEBE es, an seinen Pfötchen zu schnuppern!“ sagte eine liebe Kundin zu mir. Ich verstehe ganz genau, was sie meint…
Was ich inzwischen verstanden habe: Letztlich ist es IMMER zu früh. Als Happy 6, 7, 8 Jahre alt war, dachte ich in kritischen Phasen immer „Aber es ist doch noch viel zu früh, sie ist doch noch viel zu jung zum Sterben!“ Und habe irgendwie geglaubt, dass es sich später, wenn sie erst „alt“ wäre, besser anfühlen würde. Und das stimmt irgendwie, aber irgendwie auch nicht.
Schon immer lebte ich durch ihre chronischen Erkrankungen mit dem Gedanken im Hinterkopf „Wie lange Happy wohl an meiner Seite sein wird?“ Im Gegensatz zu früher löst dies in mir nicht mehr die totale Panik aus. Zuerst steigt tiefe Traurigkeit in mir auf. Gepaart mit unaussprechlicher Dankbarkeit. Dass wir trotz aller Probleme doch schon soo viel mehr Zeit gemeinsam hatten, als es irgendjemand für möglich gehalten hätte. Dann die Gewissheit, dass es jederzeit soweit sein kann. Dass es nie GENUG gemeinsame Zeit gewesen sein wird. Und am Ende trotzdem gut, so wie es war.
Derzeit sind gleich mehrere meiner Hunde-Patienten, wie Happy, so langsam „im Endstadium“ angekommen. Einerseits berühren und bereichern diese gemeinsamen Wege und der Austausch mit den Besitzerinnen mein Leben ungemein. Andererseits nehmen mich all meine Emotionen dabei manchmal auch ganz schön mit. Mit „Endstadium“ meine ich übrigens nicht, dass diese Hunde zwangsläufig morgen umkippen und sterben. Aber es gibt aus meiner Sicht doch ein paar gravierende Unterschiede. Bei jüngeren Hunden ist das Ziel jeder Therapie normalerweise eine Verbesserung von Beschwerden, sowie langfristige Gesunderhaltung. Oft erreicht man das auch. Klar gibt es bei chronischen Erkrankungen immer mal wieder schlechtere Phasen mit intensiverer Therapie. Im Idealfall dann aber auch längere gute Zeiten. Bei richtig alten Hunden kann es ab einem gewissen Punkt leider „nur“ noch um den Erhalt des aktuellen Status, oder eine Verlangsamung der Verschlechterung gehen. Man merkt dann oft, dass jahrelang dem Hund gut helfende Mittel oder Therapien immer mehr ihre Wirkung verlieren. Und das auch bei höchst engagierten Menschen, und bestmöglicher medizinischer Versorgung. Dies anzuerkennen ist extrem schwer für uns Menschen.
Viele suchen und testen dann weitere Möglichkeiten zur Behandlung und Schmerzlinderung des Hundes. Auch ich gebe meine Happy noch lange nicht auf! Und doch sind bestimmte Gedanken und Zweifel bei Hundehalter/innen in dieser Zeit steter Begleiter: „Was hat noch Aussicht auf Erfolg?“ „Soll ich meinem Hund Untersuchung X, Behandlung Y oder Medikament Z noch zumuten?“ „Was ist DAS Bestmögliche für meinen Hund?“ „Wann ist der Punkt gekommen, den Hund gehen zu lassen?“ Ein permanentes Abwägen von Nutzen und Risiken, von potentiellen Nebenwirkungen und Erfolgsaussichten. Oft ebenso schwankend wie die Tagesform des Hundes.
Mir geht es ganz genauso! Ich liebe wie du, ich leide wie du, ich zweifle wie du. Als Therapeutin hat man zwar mehr Hintergrundwissen. Aber ab einem gewissen Punkt gibt es nicht (mehr) DEN einen RICHTIGEN Weg. Der Abschied ist leider bei jedem Neuanfang schon vorprogrammiert…
ABER:
HEUTE bin ich total verliebt, und voller Glück und Dankbarkeit.
Denn HEUTE hatte meine Happy einen richtig guten Tag. Und HEUTE ist das alles, was zählt!